Emotionen zu kontrollieren ist nicht leicht, oder etwa doch?
Es war einmal ein großer König, bekannt für seine unermessliche Macht und seinen prächtigen Palast. Er herrschte über ein weites Land, in dem Flüsse glitzerten wie Silber und die Felder reichlich Ernte trugen. Sein Thron war aus Gold, mit Edelsteinen besetzt, und sein Volk verehrte ihn wie einen Gott. Doch trotz all seines Reichtums und seiner Macht war der König innerlich unruhig. Eine dunkle Wolke hing über seinem Herzen.
Der König war ein Mann, dessen Emotionen so heftig waren wie die Stürme auf den Meeren seines Reiches. Wenn er glücklich war, strahlte er heller als die Sonne. Doch wenn etwas nicht nach seinem Willen ging, war sein Zorn so zerstörerisch wie ein Gewitter. Er hatte keine Kontrolle über sich. Seine Freude war oft übermäßig und kurzlebig, sein Ärger schnell entfacht und furchteinflößend. Er lachte laut und heftig, wenn er zufrieden war, doch schon ein falsches Wort konnte ihn in einen Wutanfall stürzen, der ganze Städte in Mitleidenschaft zog.
Seine Berater, Minister und selbst seine engsten Vertrauten hatten ständig Angst, sie könnten unabsichtlich seinen Zorn auf sich ziehen. Sein Temperament war bekannt, und es gab kaum jemanden im Königreich, der nicht mindestens einmal Zeuge seiner unbändigen Wut geworden war. Die Menschen hatten begonnen, ihn eher zu fürchten als zu lieben, und der König spürte die wachsende Distanz. Es machte ihn noch unruhiger und noch unzufriedener.
Eines Abends, als die Sonne langsam hinter den Bergen verschwand und der Palast in goldenes Licht getaucht war, saß der König alleine auf seinem Thron. Er blickte hinaus in die Ferne, sah die Dächer seiner Stadt, die in das sanfte Abendrot gehüllt waren, und fühlte eine seltsame Leere in sich. „Warum,“ dachte er bei sich, „bin ich, trotz all meiner Macht, meines Reichtums und meines Ruhms, so unzufrieden? Warum bin ich ein Gefangener meiner eigenen Emotionen?“
So entschied er, sich Hilfe zu holen.
Am nächsten Morgen ließ er nach den Weisen und Gelehrten seines Reiches rufen. Philosophen, Ärzte, Astrologen und Mystiker versammelten sich im großen Saal, um dem König Ratschläge zu geben. Doch niemand konnte ihm eine Antwort geben, die ihm wirklich half. Einige rieten ihm zu Meditation, andere zu Tränken und Heilmitteln, doch der König spürte, dass keine dieser Lösungen das Problem an der Wurzel packte.
Schließlich trat ein alter Berater vor, ein Mann, der lange im Dienste des Königs stand und viele Jahre Weisheit angesammelt hatte. Er sprach mit leiser Stimme: „Mein Herr, ich kenne einen Mann, der dir helfen könnte. Dieser Mann ist keiner eurer gewöhnlichen Berater, kein Arzt und auch kein Gelehrter. Er ist ein Sufi, ein weiser Mann, der die Geheimnisse des Herzens kennt. Wenn jemand dir zeigen kann, wie du die Kontrolle über deine Emotionen erlangst, dann er.“

Der König, verzweifelt und neugierig zugleich, stimmte zu. Er ließ den Sufi-Meister rufen. Es dauerte mehrere Tage, bis der alte Sufi, gekleidet in bescheidene Kleidung, im Palast ankam. Er sah aus wie ein einfacher Wanderer, doch in seinen Augen lag eine Tiefe, die sofort die Aufmerksamkeit des Königs erregte.
Der König erwartete eine lange Rede oder eine komplexe Lehre, doch der Sufi lächelte nur sanft und sagte: „Mein König, ich werde dir kein Buch mit Regeln geben und dir keine langen Reden halten. Ich werde dir nur ein kleines Geschenk machen.“
Mit diesen Worten zog der Sufi-Meister einen schlichten Ring aus seiner Tasche. Er war einfach, aus Silber gefertigt, ohne Verzierungen oder Edelsteine, die den König beeindruckt hätten. Der König war zuerst verwirrt. Doch dann sah er, dass eine Inschrift auf dem Ring eingraviert war. Es waren vier einfache Worte: „Auch das wird vorübergehen.“
Der Sufi erklärte: „Trage diesen Ring immer bei dir. Wann immer du von Wut, Verzweiflung oder übermäßiger Freude überwältigt wirst, schau auf diesen Ring. Lies die Worte und erinnere dich daran: Egal wie stark deine Emotionen auch sein mögen, sie sind nur vorübergehend. Nichts bleibt für immer, weder die Höhen der Freude noch die Tiefen der Trauer. Alles im Leben vergeht.“
Der König nahm den Ring an und versprach, den Rat des Sufis zu befolgen. Anfangs war er skeptisch. Wie sollten diese einfachen Worte ihm helfen, seine ungestümen Gefühle zu zähmen? Doch in den folgenden Wochen bemerkte er etwas Erstaunliches.
Eines Tages geriet der König, wie so oft, in einen heftigen Wutanfall. Ein Fehler in der Verwaltung hatte ihn so aufgebracht, dass er fast befohlen hätte, einen seiner Minister hinrichten zu lassen. Doch gerade als er sich erhob, um seinen Befehl zu erteilen, spürte er den Ring an seinem Finger. Er hielt inne, nahm den Ring in die Hand und las die Worte: „Auch das wird vorübergehen.“
Plötzlich kam es ihm vor, als wäre ein Schleier vor seinen Augen gefallen. Er erkannte, dass sein Zorn vergänglich war, so wie alles im Leben. Die Hitze in seinem Herzen kühlte ab, und er ließ sich wieder auf seinen Thron sinken. Der Minister entkam dem sicheren Tod, und der König begann zu verstehen, was der Sufi ihm hatte beibringen wollen.
In den kommenden Monaten tat der König das Gleiche, wenn er große Freude empfand, wenn Siege gefeiert wurden oder wenn er tiefen Kummer verspürte. Jedes Mal erinnerte ihn der Ring daran, dass alles im Leben vorübergeht – sowohl die Freuden als auch die Sorgen.
Mit der Zeit wurde der König ruhiger und weiser. Er lernte, nicht in den Extremen seiner Gefühle zu leben, sondern ein inneres Gleichgewicht zu finden, seine Emotionen zu kontrollieren. Das Volk begann, ihn weniger zu fürchten und mehr zu respektieren. Seine Herrschaft wurde als eine der gerechtesten und friedlichsten in der Geschichte des Landes bekannt.
Der alte Sufi-Meister war längst weitergezogen, doch sein einfacher Ring und seine weise Lektion blieben für immer bei dem König.